Dienstag, 29. Januar 2013

Ein Bach am Meer


Ich zeichne eine Note in den Sand.
Aus der Spelunke am Hafen dringt Musik.
Sie kommt stoßweise, während ein Orkan
an den Straßenlaternen rüttelt.
Bilder von einem Barpianisten wehen 
herüber. Ich sehe, wie er die Tasten
streichelt. Sein letztes Schifferliedchen
ist unter den wohlwollenden Blicken
der Seemänner verklungen. Jetzt fließt 
eine zarte Melodie aus seinen Fingern;
eine Melodie, die wie Wasser in den
Resonanzboden tropft. Die Harmonien
passen nicht zur Umgebung:
Sie entstammen einer längst vergessenen
Epoche und martern das Publikum
mit Dissonanzen. Die Klänge rauschen
von der Spelunke hinab ans Meer.

Ich erkenne die Noten. 
Sie schweben über einem Orgelpunkt
aus bösartigem Gemurmel. Stimmen 
schwellen an, gewinnen an Stärke und 
verdrängen die Musik. Unheil verkündend
flackern die Hafenlaternen,während 
Regenduft die Luft schwängert. 
Aprupt reißt die Melodie ab. 
Der Wind trägt ein Poltern
und Krachen zu mir. Glas zersplittert.
Ein Schmerzensschrei gellt
durch den Hafen. Augen funkeln  
blutrünstig durch die Rauchschwaden  
der Spelunke. Unter schallendem 
Gelächter stolpert der Pianist
durch die Tür. Kopfschüttelnd 
wankt er über den Bordstein und klopft 
sich den Schmutz aus den Klamotten.

Er hat gelernt, dass ein Bach nicht ans
Meer gehört.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen